An der Schlucht zur Unterwelt

Lluvia kam mit rauschenden Flügeln auf dem Boden auf und ging etwas in die Knie, um den harten Aufprall zu reduzieren. //Verdammt! Warum gerade jetzt?// Sie ließ ihre Schwingen zwischen den Schulterblättern verschwinden und setzte sich einfach dort hin, wo sie stand. Ihre Augen hatten noch immer die grelle Farbe und in ihrem Kopf schwirrten tausend Stimmen. Stimmen von denen, die sie umgebracht hat. Stimmen der Seelen, die sie den Körpern entrissen hat, um sich selbst am Leben zu halten. Und jetzt gingen diese ihr gewaltig auf die Nerven. //Ich werde wohl für eine Zeit außerhalb bleiben müssen.// Die Dämonin rieb sich die Schläfen und schüttelte leicht den Kopf, sodass ein paar violette Strähnen sich in ihren Wimpern verhingen. //Wie kann es Anathial nur aushalten so einen Lärm in seinem Kopf zu hören. Mein Schädel platzt jetzt schon gleich...// Sie ließ sich auf den Rücken fallen und schloß die Augen.

Es kam Lluvia so vor, als wären Stunden vergangen und dennoch hörte das Geschrei in ihrem Kopf nicht auf. So öffnete die Augen wieder und krallte ihre Hände in das Haar. //Aufhören, verdammt nochmal! Haltet alle die Klappe!//
Die Dämonin stieß ein Knurren aus. Es war zum verrückt werden - wenn sie nicht schon kurz davor war. Ihre gelben Iriden schlossen sich um die Pupille, die nur noch ein schmaler Strich war. Dann plötzlich, hörte sie ihren erhöhten Herzschlag laut und deutlich, welcher das Gewusel in ihr übertönte. Keuchend schaute sie immer noch in die Ferne, bevor sich ihre Augen verdrehten und sie in Ohnmacht fiel.

Einen Bruchteil einer Sekunde später stand er an der Schlucht und blickte sich um. Irgendwo hier musste es sein. Und schon erblickte er den lilanen Schopf. Seine Augen weiteten sich. "Lluvia?!" zischte er, als er zu ihr lief und sie vorsichtig hochhob. "Scheiße verdammt. Was ist los?" murmelte er wirr und strich ihr die Strähnen aus dem Gesicht. Für gewöhnlich peitschte sie mit ihren Gedanken nur so um sich und jetzt? Stille. Endlose Stille.

Sie spürte nur schwach, dass jemand sie hochhob und ihr Kopf leicht nach hinten fiel. Ein Name wurde gerufen aber sie hatte nicht die Kraft auf die Fragen, die gestellt wurden zu antworten oder gar die Augen zu öffnen. Lluvia fühlte einfach nur schwere Dunkelheit auf sich drücken, die sie abhielt ans Licht zu kommen. Es fühlte sich an, als würde sie darin ertrinkrn. Doch als ihr die Luft schon fast ausging drang ein schwacher Gedanke aus der zähflüssigen Dunkelheit zu ihr. //Lluvia...?//

Da normales Reden keine deutliche Wirkung zeigte, versuchte er es via Gedanken. //Lluvia. Lluvia, aufwachen.// murmelte er ihr in Gedanken zu. Er wollte es sich nicht eingestehen jedoch plagte ihn leichte Angst um seine Teampartnerin. Vorsichtig trat er von der Schlucht weg und kniete sich vor einem Baum hin. Leicht setzte er sie ab und lehnte sie an den Baumstamm. //Lluvia...//

Sie hörte schwach eine Stimme. Als wäre sie unter Wasser und jemand oberhalb würde sich mit ihr unterhalten. Lluvia war nun in einer aufrechten Position und sie hob leicht die Augenlider. Sie erstrahlten immer noch in einem satten Gelb, jedoch sahen sie nichts um sich herum, sondern starrten in die Ferne. Die Dämonin sah eine dunkle Sillouette vor sich, meinte aber, sie halluziniere. Langsam verschärfte sich ihre Sicht und sie erkannte einen blassen, jungen Mann mit schwarzen, längeren Haaren.
"Was... Wer...?", flüsterte sie, denn ihre Stimme war brüchig. Lluvia blinzelte ein paar Mal und erkannte ihn nun.

Erleichtert atmete er aus, als er bemerkte, wie sie langsam zu sich kam. "Lluvia." wiederholte er erneut. Er ging in die Knie und blickte sie an, während seine Hände an ihren Schläfel Platz fanden. Die Stimmen verstummten allmählich oder wurden schlichtweg immer leiser, bis sie still waren. Anathial runzelte leicht die Stirn. "Was war denn das eben?" fragte er schlicht, wobei die dunkelroten Augen ihren zuckenden Körper musterten. Für gewöhnlich hatte sie sich unter Kontrolle.

Die Stimmen verstummten allmählig, doch Lluvia bekam immer noch nicht viel um sich herum mit - und wenn doch, dann sehr verspätet. Mit einem Mal wurden ihre Augen groß und sie blickte zu ihm auf. Mehr aus Reflex schob sie seine Händebeiseite, als sie diese an ihren Schläfen spürten, die immernoch gnadenlos pochten. "Wir kennen uns irgendwoher, oder?" Fragend legte sie den Kopf schief. "Und wer ist Lluvia?"

Er erhob eine Augenbraue und musterte sie. Es war also einer der schwereren Anfälle. Sie hatte mal wieder vergessen was und wer sie war. Herrlich. Und dabei mussten sie bald Hikaru begleiten. Ihm entwich ein Seufzen. "Du-.." er tippte dabei an ihre Stirn. "...- bist Lluvia. Meine Partnerin." erklärte er kurz. "Und ich-.." dabei deutete er auf sich. "..- bin Anathial. Der Typ den du-..." er zeigte wieder auf sie. "...- schlägst mich ziemlich gern zusammen. Meine Nase leidet öfters." Warscheinlich würde sie schneller wieder normal werden.

Ihre Augen wanderten kurz nach oben als er auf ihre Stirn tippte und dann wieder zu ihm. Leicht musste Lluvia den Kopf schütteln. "Nein, ich kann das gar nicht. Wir kennen uns nicht einmal ansatzweise. Außerdem heiße ich Ciel." Dabei schaute sie ihn durchdringend an. "Welchen Grund hätte ich überhaupt, dir die Nase zu brechen?", fragte sie leicht belustigt.

Er schüttelte frustriert den Kopf. Das war wirklich verzwickt. Seufzend ließ er sich nach hinten fallen und verschränkte die Arme vor den Augen. Die schwarzen Strähnen zierten sein blasses Gesicht. "Ciel also." murmelte er etwas verzweifelt. Ciel war so weit weg also war es wirklich kompliziert sie ins Jetzt zu kriegen.

Lluvia sah sich kurz um. "Wo bin ich hier überhaupt?", fragte sie mehr zu sich und stand leicht schwankend auf. Kurz klopfte sie den Dreck von ihrer Kleidung, bevor sie die Hände hinter dem Rücken verschränkte und zum Palast blickte. "Sieht grauenhaft aus." Sie ging ein paar Schritte, die jedoch sehr wackelig ausfielen und fiel dann wieder hin. Mit einem leichten Ausruf des Erstaunens stütze sie sich ab. Ihr war schon wieder schwindelig und eine seltsame Müdigkeit überkam sie. Ihre gelben Augen flackerten kurz auf, bevor ihre Farbe ins Blaue übergingen und die Lider ihr zufielen.

Er richtete sich schlagartig auf, als Ciel dies auch tat. Immer wenn Lluvia die Kontrolle verlor, war ihr Gleichgewichtssinn auch für die Tonne. Wie bestätigt geriet sie ins Schwanken und verlor den Halt. Ohne lange nachzudenken stand er schon hinter ihr und fing sie auf. Vorsichtig hob er sie hoch und legte sie wieder an den Stamm gelehnt auf den Boden. Er lehnte sich neben ihr sitzend an den Baum und schloss etwas die Augen. Was war zum Teufel aus ihm geworden.

<------ Die langen Gaenge

Mit einem entnervten Seufzen tauchte Cirian, an einem Baum lehnend, ein paar Meter von Anathial entfernt auf. "Was gibt's?", fragte der Schwarzhaarige schlicht und äußerte seine nicht all zu gute Laune durch den unfreundlich klingenden Tonfall.

Fragen erhob sich eines seiner Lider, als er die ihm bekannte Aura vernahm. Genervt schloss er die Augen wieder. Er hatte nun wahrlich besseres zutun, als sich von dem Typen vollreden zu lassen, der ihn wegen einer seiner Anfälle windelweich geprügelt hatte. "Hab dich nicht gebeten her zu kommen." gab er schlicht von sich. //Lass mich raten, deine Laune ist nur mal wieder am Tiefpunkt weil Madame Moe sich grad bei ihrem Meister befindet.// setzte er in Gedanken dazu. Er hatte nicht das Bedrüfnis mit ihm über seine 'Gefühle' zu sprechen, da war es einfacher ihn damit aufzuziehen.

"Sei still Mimose.", konterte Cirian schlicht, ehe er zu Anathial rüber schlenderte und leicht gegen seinen Oberarm boxte. "Seit wann bist du so verweichlicht, Kleiner?", schloss er noch an und zog fragend eine Augenbraue nach oben, als er Lluvia bewusstlos am Baum lehnen sah. //Nein, Moe ist nicht gerade bei mir, wie dir vielleicht aufgefallen sein sollte.// Irritiert schaute er seinen Bruder an und verschränkte leicht die Arme vor der Brust.

Ihm entwich ein Grummeln, als er die Faust Cirian's an seinem geprellten Oberarm vernahm. Seine Lippen öffneten sich einen Spalt weit und ein leises Zischen drang hervor. "Seid wann bist du so schwer von Begriff, 'Großer'." gab er wieder. Langsam öffnete er die Augen und linste zu ihm hoch. //Keine Ahnung.// setzte er in Gedanken murmelnd dazu. Kurz fuhr sein Blick zu Lluvia, die immernoch schlafend am Baum lehnte. Das dürfte wohl eh noch eine Weile dauern, bis sie aufwachen würde.

Ein leises bedrohliches Grummeln drang aus der Kehle Cirian's, als sein heißgeliebter Bruder mal wieder auf etwas anzuspielen schien. "Ich bin grade nicht sonderlich auf Späßchen erpicht.", zischte er, ehe sich seine Pupillen sich wieder katzenartig verformten und seine Finger sich verkrampften. Für die nächste Zeit hatte er genug guten Willen und Nerven gezeigt.

Mit leicht geknickten Blick wandte er den Kopf wieder zu Boden und das schwarze Haar fiel geradewegs mit. Seine Stimme klang nun recht emotionslos und star. "Das Spielzeug ist gerade bei ihrem ehemaligen - oder neuen? - Meister und lässt sich verwöhnen." kam es aus seinen zusammengepressten Lippen.

"Ist sie das?", fragte er scharf, bevor seine Augen sich wieder rot färbten, als seine Wut sich in kurzen orkanartigen Böen äußerte. Nur Scherereien hatte man durch das weibliche Pack. Sichtlich aufgebracht fuhr seine Hand zitternd durch die schwarzen zerzausten Haare, ehe er seinen Bruder musterte, der nicht gerade fröhlich dreinblickend die Strukturen des Bodens musterte. "Alles in Ordnung?", fragte Cirian verblüfft und schaute ratlos drein.

"Wen interessiert das." kam es sarkastisch angesäuert als Antwort auf die Frage ob denn alles in Ordnung sei. Langsam richtete er sich auf, strich mit einer hand die schwarzen haarsträhnen zurecht und betrachtete Lluvia. Sie würde ihn kurz und klein schlagen, wenn sie aufwachte und noch einmal musste er das jetzt auch nicht haben. Er boxte Cirian einmal gegen die Schulter und trat an ihm vorbei. //Los, hol sie dir zurück.// setzte er noch an ehe er mit starrem Blick an ihm vorbei ging.

Ein resigniertes Seufzen und ein dazu passendes Augenverdrehen war alles, was ihm zu der Gegenfrage seines Bruders einfiel. Manchmal war er schlimmer als ein Weib, das gerade eben vom Ehemann betrogen worden war. Ehe er etwas erwiedern konnte, boxte Anathial ihm bereits gegen die Schulter und ging an ihm vorbei. Ein weiteres Seufzen und Cirian hatte bereits mit langen Schritten aufgeschlossen. "Was ist los?", wiederholte er beharrlich seine Frage und musterte seinen Bruder.

Seine Hände verschwanden in seinen Hosentaschen, während er einen Schritt vor den anderen Setzte. In seinem Kopf herrschte reges Chaos. Es war sogar fast chaotischer als sonst, da er ja ohnehin jeden Gedanken hören konnte. Wenn er wüsste, was mit ihm los sei, würde er ja kaum soviel grübeln. Irgendwann blieb er stehen- direkt vor einem dicken Baum. In nichtmal einer Sekunde fuhr sein Bein vor und der Baumstamm kippte samt Baum nach hinten. "Scheiße man." gab er grummelnd von sich. "Wenn ich das wüsste.." er legte den Kopf etwas in den Nacken und betrachtete den dunklen Himmel.

Während des Gehens knöpfte sich Cirian das immer noch offene Hemd zu, als die Schneeflocken seine Haut streiften. Er hasste das Gefühl. Kurz darauf schloss sich erneut ein Kopfschütteln an, als Anathial's Gedanken undwiderruflich in seinen Kopf eindrangen. "Mein Gott, was ist bei dir im Kopf los?", fragte Cirian frostiger, als es sein sollte. Seine Nerven hielten schlichtweg nicht noch mehr nervtötende Überlegungen und Gefühle aus. Denn die, die er hatte, reichten vollends aus.
Ein dumpfes Knacken und der Baum, der Opfer Anathial's Wut war, kippte nach hinten und ließ einen weiterhin verwirrten - konnte man diesen Zustand so nennen? - Anathial zurück. "Nur Scherereien mit den Geschwistern heutzutage.", meinte Cirian schmunzelnd und legte einen Arm um die Schultern seines Bruders.

"Viel zu viel." entgegnete er seinem Bruder. Kurz tockte er mit der Hand gegen seine Schläfen doch helfen tat das nicht wirklich. Überwiegend schwirrten ihm die Bilder der damaligen Misshandlungen in seinem Kopf herum, die, von seiner Freundin und jene Gedanken, die sich um Shaina und Cirian drehten. Die anderen gingen ihm so ziemlich sonst wo vorbei. Unwillkürlich lehnte er sich etwas zurück und blickte immernoch in den Himmel. Cirian war stark genug, da machte es das bisschen Zusatzgewicht auch nicht. Die schwarzen Haarsträhnen fielen nach hinten und gaben seine helle Haut preis. Die roten Augen betrachteten die Schneeflocken.